Soll die EU zentralistisch für die Beschaffung der COVID-Impfstoffe zuständig sein?

Nach vielen langen Monaten scheinen die Impfstoffe endlich zu helfen, uns von der Coronavirus-Epidemie zu erholen. Aber wie schnell? Aus wie vielem Geld? Und lohnt sich das Risiko, russische und chinesische Impfstoffe aus dem Osten zu beschaffen? Dávid Hámori, Mitglied unserer Arbeitsgruppe für Außenpolitik und Analysis hat hier seinen Meinung zu diesem Thema geschrieben.

Wenn wir dieses Thema näher betrachten möchten, ist eine kurze, aber umfassende Überblick über die Pandemie unverzichtbar. Danach werde ich die Impfstoffmanagementstrategie der EU unter die Lupe nehmen.

Die ersten Erkrankungen wurden in China, in Wuhan am Ende Dezember im Jahr 2019 aufgezeichnet. Kurz darauf wurde die gesamte Provinz, in der sich Wuhan auch befindet, unter Quarantäne gestellt. Ich bin der Meinung, dass in diesem Zeitpunkt niemand in der Welt geglaubt hat, dass dieser Virus bei einem kurzen Ablaufen eine globale Pandemie verursachen wird. Es gibt einige Forscher, die davon überzeugt sind, dass sich in China das COVID vor seiner ersten offiziellen Veröffentlichung unbemerkt verbreitete. 

Trotz der Maßnahmen in China sind die Zahl der COVID-Infizierten im Februar 2020 drastisch in der EU erhöht, vor allem in Norditalien. Das hat zur Folge, dass der Europäische Rat stuft die IPCR (Integrated Political Crisis Response) auf den Modus der vollständigen Aktivierung hoch. Kurz danach haben die Mitgliedstaaten der G7 und G20 darüber diskutiert, wie sie in dieser Krise gemeinsam auftreten können. Die möglichen wirtschaftlichen Auswirkungen der Virus bedrohten Europa, neben die gesundheitlichen Risikos. Ich möchte betonen, dass die Natur des Virus zu Beginn sehr schlecht verstanden war, dazu kommt, dass das Gesundheitssystem weder fachlich noch kapazitiv auf eine Pandemie vorbereitet war.

In den folgenden Monaten gab es eine Reihe von Verhandlungen zwischen Ministern der verschiedenen Mitgliedstaaten, um die Auswirkungen der Pandemie auf die Wirtschaft zu mildern (z.B. Umstrukturierung der früheren Budgets). Im Juni 2020 erzielten die EU-Staats- und Regierungschefs Einigung über Konjunkturpaket und EU-Haushalt für 2021-2027. Von diesem Paket entfallen 390 Mrd. € auf Zuschüsse für die Mitgliedstaaten und 360 Mrd. € auf ein Darlehen. Das Ziel dieser Unterstützungen war, den wirtschaftlichen Schaden zu reduzieren.

Ursula von der Leyen, Präsident der Europäischen Kommission und Charles Michel, Präsident des Europäischen Rates – Quelle: Europäische Union

Nach dem Ausbruch der Pandemie haben mehrere Länder verschiedene Forschungen begonnen, um einen möglichen Impfstoff gegen COVID zu entwickeln. Den ersten offiziell aufgezeichneten COVID-Impfstoff hat eine Krankenschwester in den USA erhielt, die von Pfizer und BioNTech entwickelt wurde. Dieser Impfstoff wurde Ende Dezember in der EU auch zugelassen. Mehrere westliche Impfstoffe wurden daraufhin in der EU zugelassen, aber diese Lieferungen kamen nur mit gerissenen Verspätungen an – aber inzwischen hat die Pandemie in der EU signifikante Ausmaße erreicht. 

In Großbritannien, in Israel und in den USA hat der Impfplan seit Dezember viel besser funktioniert als in der EU. Die in Amerika entwickelten Impfstoffe (Pfizer, Moderna, Johnson & Johnson) wurden aus naheliegenden Gründen in der ersten Runde an die Amerikaner abgegeben. AstraZeneca wurde zuerst in Großbritannien geimpft, wo es auch (zusammen mit der Oxford-Universität) entwickelt wurde. Israel aufgrund seiner relativen kleinen Bevölkerungszahl und aufgrund der Tatsache, dass es erhebliche Summe für die Impfungen ausgegeben hat, konnte einer der besten Position in der Impfungsrate erhalten.

Die bisher in der EU zugelassenen Impfstoffe sind westliche Impfstoffe. Die östlichen Impfstoffe sind vorerst nicht zugelassen. Ich vermute, dass es dafür politische Gründe auch geben könnte. Die Mitgliedstaaten haben sich frühzeitig darauf geeinigt, wie viele Impfungen die einzelnen Mitgliedstaaten im Rahmen der gemeinsamen europäischen Beschaffung erhalten werden. Wie ich früher erwähnt habe, die Impfungen wurden leider nicht pünktlich und in ausreichender Menge geliefert.

Es ist daher leicht einzusehen, dass bei einer vollständig zentralisierten Impfstoffbeschaffung der individuelle Handlungsspielraum für Mitgliedstaaten geringer ist. Mitten in einer Pandemie, in der Tag für Tag Menschen an den Folgen der Infektion sterben, wäre es sinnvoll, so schnell wie möglich viele sichere Impfstoffe zur Verfügung zu stellen – unabhängig davon, wo der Impfstoff hergestellt wurde. 

Ich denke, Ungarn hat diese Barriere rechtzeitig erkennt, dass die westlichen Impfstofflieferungen nicht rechtzeitig ankommen werden, die sogar auch Menschenleben fordern könnten. Aus diesem Grund hat es angefangen, mit östlichen Ländern Verhandlungen zu führen, um von hier auch Impfstoffe erhalten zu können. Die Verhandlungen waren erfolgreich und es sind viele Impfstoffe aus China und Russland geliefert. Diese Impfstoffe wurden verwendet, um versäumte westlichen Impfungen nachzuholen. 

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán wurde mit dem chinesischen Sinopharm-Impfstoff geimpft – Quelle: Viktor Orbáns Facebook-Seite

Wäre die Impfstrategie vollständig zentralisiert gewesen, hätte Ungarn nicht rechtzeitig Zugang zu diesen östlichen Impfstoffen gehabt. Natürlich stellt sich die Frage, ob der östliche Impfstoff schlechter ist als der westliche. Diese Ost-Impfstoffen sind noch nicht von der EMA (Europäische Arzneimittel-Agentur) zugelassen. Diese Impfstoffe haben aber schon Millionen in China, Russland und auch in anderen Ländern in Asia bekommen und sogar diese Impfstoffe wurden von der ungarischen nationalen Gesundheitsbehörde geprüft. Die neueste Nachricht ist, dass auch die WHO (Weltgesundheitsorganisation) die Notfallverwendung des chinesischen Impfstoffs von Sinopharm genehmigt hat.

Wir können also davon ausgehen, dass diese östlichen Impfstoffe nicht risikoreicher sind als ihre westlichen Gegenstücke. Ich bin davon überzeugt, dass es im Krisenfall keine Zeit gibt, auf die manchmal bürokratische EU-Zulassung zu warten. In der Slowakei führte dieses schwierige Dilemma beispielsweise zu einer Regierungskrise. Zu diesen Themenkreis kommt noch, dass Deutschland und Österreich auch bereits russische Impfstoffe vorbestellt haben.

Alles in allem ist es gut, ein zentralisiertes Einkaufssystem zu haben, weil aufgrund der großen Chargenbestellungen die Länder Geld sparen können. Ein solches System ist aber weniger in der Lage, schnell auf die Änderungen zu reagieren. Die Mitgliedstaaten kennen den Gesundheitszustand ihrer eigenen Bevölkerung besser und können eigenständige Entscheidungen treffen, um die Beschaffung von Impfstoffen durch bilaterale Verhandlungen zu beschleunigen, wenn es die Situation erfordert – auch wenn es mit höherer Impfstoffpreise einhergeht. Die beiden Mechanismen schließen sich also nicht gegenseitig aus, sondern können sich sogar gegenseitig verstärken.

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Hámori Dávid

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